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Philosophische Lebensberatung (unvollständig)
Inhalt
Vorbemerkung: Was kann philosophische Lebensberatung?
Gibt es einen Sinn des Lebens?
Wie viel Weltanschauung braucht der Mensch?
Kann ich moralisch handeln?
Soll ich auf mein Gewissen hören?
Muss man sich bilden?
Ist Glück heute möglich?
Wut, Groll, Hass und Zorn
Über Freundschaft
Gibt es Moral im Zusammenleben zwischen Mann und Frau?
Sollte ich in der Ehe oder Zweierbeziehung treu sein?
Kann man heute noch eine Familie gründen?
Sollte man Kinder großziehen?
Was heißt Selbstverwirklichung?
Was ist, wenn meine Selbstverwirklichung auf Kosten des Lebenspartner geht?
Wie viel Fernsehkonsum ist angebracht?
Welche Rolle sollte Sport in meinem Leben spielen?
"Wie hältst du's mit der Religion?"
Was geht uns der Tod an?
Soll ich in einer politischen Organisation mitarbeiten?
Weitere Reflexionen auf anderen Seiten
Vorbemerkung: Was kann philosophische Lebensberatung?
Lebensberatung, noch dazu philosophische ist problematisch; da ich Sie nicht kenne, wie soll ich Sie bei Ihrem Lebensweg beraten? Eine philosophische Beratung kann sich immer nur im Allgemeinen bewegen. Da aber unser Leben nicht nur individuell bestimmt ist, sondern wesentlich auch durch das Allgemeine geprägt wird, ist eine philosophische Beratung zumindest möglich. Ratschläge für das Leben beziehen sich auf Sitte und Moral, entsprechend ist die Ethik dafür die Grundlagenwissenschaft.
Dies ist keine psychologische Beratung für psychisch kranke oder labile Menschen. Philosophische Lebensberatung geht auf die Prinzipien, die das Leben von Individuen heute bestimmen sollten, sowie auf die Chancen, ob und wie sie realisiert werden können. Das verlangt eine gewisse Desillusionierung des Bewusstseins. Psychologische Beratung fragt nach den individuellen Leiden. Sie muss untersuchen, wie ein Mensch tatsächlich denkt und fühlt, um ihn helfen zu können. Philosophie aber ist Prinzipienwissenschaft. Beachtet man allerdings bestimmte Prinzipien nicht, dann ist ein Scheitern in diesen oder jenen Lebnslagen wahrscheinlicher. Wer keine Prinzipien hat, ist abhängig von anderen oder seinen unreflektierten inneren Impulsen.
Unter den Bedingungen einer Klassengesellschaft mit einem Wirtschaftsystem, das anarchisch ist, gibt es weder für ein Leben nach Prinzipien noch für ein spontaneistisches dahinwurschteln eine Garantie. Deshalb enden viele Reflexionen über Lebensregeln mit einem Hinweis auf die notwendige Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse.
Was der Leser aus meinen philosophischen Ratschlägen macht, liegt allein in seiner Verantwortung. Die vorgeschlagenen Lebensregeln sind allgemeine Sätze, sie bedürfen der Einsenkung in ein konkretes Leben und deshalb vieler Modifikationen, Abstufungen und auch der Negation, wenn sie nicht für Sie als Leser zutreffen. Dies müssen Sie für sich selbst leisten, denn ich kenne Ihr Leben nicht.
Zur Kritik der bürgerlichen "Lebenskunst" - siehe Erinnyen Nr.19.
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Gibt es einen Sinn des Lebens?
Diese Frage kann ich nur beantworten, wenn ich zuerst frage, warum der Sinn des Lebens überhaupt zum Problem geworden ist. In der Antike und im Mittelalter war dies kein Problem. Das antike Schrifttum gibt uns Auskunft, das jeder Mensch nach der Glückseligkeit (Eudaimonia) strebe, auch wenn die Auffassungen darüber, was Glück sei, differierten. Im Mittelalter war man bescheidener und wollte ein gottgefälliges Leben in der Hoffnung, wenigstens im Jenseits volles Glück zu erlangen. Heute sind 89 % der Erwerbstätigen Lohnabhängige, d.h. ebensoviel Prozent der Gesamtbevölkerung leben von Lohnarbeit. Ein wesentlicher Teil ihres Lebens, nämlich der Teil, der ihre Existenz sichert, ist demnach fremdbestimmt. Überblickt man von einem gewissen Alter sein Leben als Lohnabhängiger, dann kommt die Frage nach dem Sinn eines solchen Daseins schon auf. Die Ideologen greifen diese Frage gern auf und bedienen ihre Klientel mit "Sinnangeboten". Kongresse werden veranstaltet mit dem Thema: "Die Suche nach Sinn". Und eine ehemals kritische Psychoanalyse entblödet sich nicht, eine "Logotherapie" anzubieten, um noch den sinnlosesten Lebenssituationen einen Sinn zu geben.
Das geht etwa so: Dein Lebenspartner ist gestorben, du leidest - genau das ist aber der Sinn dabei, denn angenommen, du wärest gestorben, dann würde jetzt dein Partner leiden, wie es nun einmal gekommen ist, nimmst du deinem Partner das Leiden ab, das ist der Sinn deines Leidens. Ob jemand dadurch getröstet wird, bezweifle ich. Meine Lebenserfahrung hat mir gezeigt, dass nur die Wahrheit - wenn nicht tröstet, so doch mein Selbst anerkennt und achtet. Ist ein geliebter Mensch gestorben, dann ist er weg, für immer, nichts weiter. Lediglich in meiner Erinnerung ist er für mich anwesend. Das ist brutal, Ausdruck unserer Naturverfallenheit und hat vielleicht auch gesellschaftliche Gründe, enthält aber keinen tieferen Sinn.
Nach den Sinn des Lebens fragen die Menschen dann, wenn ihnen ihr Leben sinnlos erscheint, weil sie es für das Wachstum des Kapitals opfern mussten, um ihre materielle Existenz zu sichern. Abstrahiert von diesen gesellschaftlichen Bedingungen des heutigen Lebens, rein moralisch betrachtet, ist der Mensch Zweck an sich selbst. Sein Sinn besteht allein darin, dass er da ist. Das genügt. Er ist ein Stück organisierte Materie, das Bewusstsein hat und das weiß, das es Bewusstsein hat, also aus der Natur zum Selbstbewusstsein erwacht ist. Angesichts der riesigen Ansammlung toter Materie im Weltall und der ungeheuren Leere des Raumes, kennen wir nichts Großartigeres als den Menschen. Er hat sich mit Göttern verglichen, weil er selbst die Eigenschaften hat, die er in Göttergestalten überhöht imaginiert hat.
Wenn nun in der kapitalistischen Ökonomie der Mensch zum bloßen Mittel der Produktion von akkumulierbaren Mehrwert erniedrigt wird, so dass er nach einem Sinn seines Lebens suchen muss, um sein sinnloses gesellschaftliches Dasein zu ertragen, dann sollte er sich besser seiner Lage bewusst werden. Vielleicht wird er dann ernüchtert diese sinnlose Frage nach dem Sinn seines Lebens fallen lassen und sich gegen diese Erniedrigung wehren. Er wird dadurch für sich endlich zum Selbstzweck, was er erst nur an sich war, und spürt die tiefe Befriedigung, die im Kampf um ein menschenwürdiges Dasein liegt.
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Wie viel Weltanschauung braucht der Mensch?
Jeder Mensch macht sich eine Vorstellung von der Welt. Wahrscheinlich haben sogar höhere Säugetiere eine sinnliche Vorstellung von ihrer Umgebung. Die Menschen können aber über ihren unmittelbaren Umkreis hinausschauen – und jede Grenze ist ihnen nur Anlass gewesen diese zu durchbrechen. So haben die Griechen und Römer alle äußeren Völker als Barbaren angesehen, durch ihr Expansionsstreben mussten sie sich aber mit ihnen arrangieren. Im späten Mittelalter wurde nicht nur begonnen neue Handelswege zu suchen und die ganze Erdkugel zu erforschen, sondern diese auch als Mittelpunkt der Welt zu bezweifeln. Das neue „Weltbild“ von Kopernikus, Galilei und Keppler revolutionierte das Verständnis vom Kosmos und heute träumen die Menschen mit schlechten Filmen zwischen den Galaxien hin- und herzureisen.
Die Philosophie ging z.T. andere Wege, sie wollte nicht das äußere Weltbild erweitern, sondern die Welt in ihren Prinzipien, die sie regieren, erkennen. Ein Höhepunkt dieser Spekulation war der Hegelsche absolute Idealismus. Hegel meinte die Prinzipien der Welt insgesamt mit seinem System erfasst zu haben. Er versteifte sich sogar dahingehend, seine Logik als Gedanken Gottes vor der Erschaffung der Welt und die materialen Prinzipien als Selbstbewusstsein Gottes zu bestimmen, das im Menschen zum Ausdruck käme. Aber schon zu seinen Lebzeiten machten die Naturwissenschaften Entdeckungen, die seinen Weltprinzipien widersprachen und die Geschichte leitete Revolutionen ein, die seiner Geschichtsauffassung zuwiderliefen. (Dennoch kann man eine Menge von Hegel lernen!)
Die Philosophie nach Hegel – in der Defensive gegenüber den Einzelwissenschaften – ersetzte das System der Prinzipien durch eine – „Weltanschauung“. Sie reagierte damit einmal auf die Unmöglichkeit die Welt als Ganze in einem System zu erfassen und zum anderen auf das Bedürfnis nach einer Sichtweise, die sich auf die Ganzheit der Welt bezieht. Denn, wie gesagt, der Mensch kann sich nicht von einer Deutung der Welt als Ganzer verabschieden, er benötigt ein Bewusstsein der Totalität, ohne das kann er als vernunftbegabtes Wesen nicht existieren. Eine Philosophie als „Weltanschauung“ ist aber problematisch. Die Welt als Ganze lässt sich nicht anschauen. Selbst das heliozentrische Weltbild ist kein Bild, weil es mit den Augen gar nicht beobachtbar ist.
Deshalb kann sich da, wo das prinzipielle Wissen der Philosophie und die Gesetzeserkenntnis der Einzelwissenschaften aufhört, Irrationales, Ideologie, Aberglaube und religiöse Spinnerei breit machen. So war z.B. für Marx der Begriff ‚Ideologie’ noch falsches Bewusstsein, das der Herrschaftssicherung dient, bei Lenin wird daraus jede Art „Weltanschauung“, so dass es geistig nur noch um den Kampf der „proletarischen Ideologie“ mit der „bürgerlichen Ideologie“ ging.
Die heutige geistige Situation, die ein vollständiges System der Weltprinzipien als unmöglich erkennt und „Weltanschauung“ immer mit Irrationalismen behaftet durchschaut, ist nicht aus diesem Dilemma zu befreien. Man kann nur den Rat geben, die Welt soweit es geht in ihren Prinzipien zu erkennen, ohne auf ein vollständiges Weltsystem zu hoffen. Und da gibt es ja einiges an Prinzipienwissen, das die Welt verstehen lehrt: In der Physik die Grundkräfte, deren schlüssiger Zusammenhang (Weltformel) aber noch nicht herausgefunden wurde; in der Chemie das Periodensystem der Elemente; in der Biologie der genetische Kode, dessen Wirkung aber erst vereinzelt klar ist; in der Ökonomie die Marxsche Kapitalanalyse, deren Prophezeiung vom Untergang des Kapitalismus mit einer sozialistischen Hoffnung aber nur eine Möglichkeit ist; und nicht zuletzt in der Philosophie die Logik, die es immerhin über zweitausend Jahre gibt, und das kritische Instrumentarium des Denkens, mit dessen Hilfe sich Rattenfänger, Verdummer und Manipulateure erkennen und auf die Finger klopfen lassen. Auch in der philosophischen Disziplin der Ethik gibt es das begründete Moralgesetz, keinem Menschen als bloßes Mittel, sondern immer auch als Zweck an sich selbst zu behandeln; aber wie dieses in der Menschheit durchsetzbar ist, damit ein ewiger Friede herrscht – das ist ein ungelöstes Problem.
Ein vollständiges systematisches Prinzipienwissen der Welt gibt es nicht, es bleibt vieles, was generell unserem Denken nicht zugänglich ist, wie Kants „intelligibles Substrat“, und was noch zu entdecken und zu erforschen ist. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als sich mit diesen Lücken unseres Wissens abzufinden oder weiter zu forschen. Eine „Weltanschauung“ ist immer schon die Weigerung, die Welt begreifen zu wollen.
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Kann ich moralisch handeln?
In Gesellschaften, die durch Konkurrenzkampf und Marktwirtschaft bestimmt sind, entsteht eine gesellschaftliche Resultante, im Kleinen wie im Großen, die keiner gewollt hat und die keiner voraussehen kann. Jedes zweckbestimmte Handeln, ob moralisch legitimiert oder nicht, kann dadurch in sein Gegenteil umschlagen. Allein dies verhindert schon, dass moralisches Handeln durchgängig seinen Zweck erreichen kann.
Damit ich leben kann, muss ich meine Arbeitskraft verkaufen. Indem ich dies tue, setze ich mich nicht nur einer individuellen Ausbeutung aus, schaffe nicht nur einem anonymen Kapitaleigner seine Dividenden, sondern ich reproduziere auch das ganze System, das auf Ausbeutung beruht und mich und die anderen immer wieder dazu zwingt, die Arbeitskraft zu verkaufen. Ich handle also unmoralisch und kann doch nicht damit aufhören, wenn ich nicht verhungern oder auf Kosten meiner Klassengenossen (Sozialhilfe!) leben will.
Moralisches Handeln ist in der kapitalistischen Klassengesellschaft also nicht möglich, bestenfalls hat es einige Bedeutung im kleinen Familien- oder Freundeskreis. Deshalb aber zynisch zu folgern: also kümmere ich mich nicht um Moral, verewigt dagegen den Zustand, der moralisches Handeln verhindert.
Moral ist das Gesetz der Freiheit. Ohne Moral herrscht der Krieg aller gegen alle. Diesen Zustand abzuschaffen ist deshalb moralische Pflicht. Moralisches Handeln im Politischen ist heute allein noch als Widerstand gegen die kapitalistische Produktionsweise möglich.
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Soll ich auf mein Gewissen hören?
Mit dem Gewissen ist es so eine Sache. Einmal kommt aus ihm ein moralischer Impuls, etwa wenn rechte Schläger eine Farbige in der Bahn belästigen und man sich einmischt und der Frau hilft. Das Gewissen ist in der Kindheit entstanden, wenn denn die Erziehung einigermaßen geglückt ist. Es enthält die Stimme unserer Eltern und die Wirkung der Gesellschaft, z.B. durch die Schule oder die Arbeitsstelle. Wir wissen aber nicht mehr. dass in uns jemand anders redet und halten das Gewissen für unsere eigene Stimme, wir haben die Stimme der Gesellschaft verinnerlicht. Durch die Erziehung, die immer auch Vorurteile enthält, ist das Gewissen aber durch falsches Bewusstsein geprägt. Es enthält ein konservatives Element. Dieser Aspekt des Gewissens kann sich bis zum inneren Feind des Menschen entwickeln, etwa wenn er etwas Vernünftiges tun will, sein Gewissen ihn jedoch daran hindert. So sind im Gewissen Normen enthalten wie "Fleiß", "Pünktlichkeit" oder "Einordnung in ein arbeitsteiliges Ganzes". In dem Moment aber, wo es zum Streik kommt, hemmt dieses Gewissen, dass man sich dafür engagiert, weil die genannten Normen nun verletzt und durchbrochen werden müssen. Das Arbeitsethos des Lohnabhängigen ist notwendig, wenn er eine Arbeitsstelle erhalten will, es wird jedoch zum inneren Feind, wenn es nicht zugleich mit dem Bewusstsein gepaart ist, ausgebeutet zu werden. Der Philosoph Kant verlangt (wenn auch in anderem Zusammenhang), dass sich das Gewissen selbst reflektieren soll - es wird dann zur praktischen Vernunft. Dieses sollte nicht nur das Moralgesetz enthalten, keinem Menschen bloß als Mittel, sondern immer auch als Zweck an sich selbst zu behandeln, sondern auch grundlegende Einsichten in die Analyse der kapitalistischen Gesellschaft, im Idealfall eine kritische Gesellschaftstheorie. Ein solch reflektiertes Gewissen wäre dann die nicht mehr nur unbewusste innere Stimme, der man folgen sollte, soweit dies heute überhaupt möglich ist. (Vergleiche auch: Der moralische Impuls der Opelarbeiter)
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Muss man sich bilden?
Ja. Wir leben heute in einer Zeit, die durch ständige Veränderung gekennzeichnet ist. Wer sich nicht weiterbildet - auf welche Art auch immer -, der wird früher oder später von den Ereignissen überrollt. Es gibt aber auch moralische Gründe, sich zu bilden. Seit der Antike konkurrieren verschiedene Moralauffassungen und Weltdeutungen miteinander, man muss deshalb nicht nur wissen, was gut ist, sondern auch, warum das Gute gut ist, man muss ein Selbstbewusstsein über die Lebensprinzipien haben, denen man folgt. Hat man dieses Selbstbewusstsein nicht, dann können Rattenfänger aller Couleur einen vereinnahmen, manipulieren und ausnutzen. So haben die deutschen Faschisten durch Propaganda die Bevölkerung, obwohl sie gegen den Krieg eingestellt war, zum Mitmachen bis fünf nach zwölf gebracht.
Es gibt noch einen zweiten moralischen Grund sich zu bilden. Wenn der Mensch als Zweck an sich selbst bestimmt wird, dann gehört es zu seiner Selbstzweckhaftigkeit, sich zu bilden - nicht nur fachlich oder beruflich, sondern als Mensch. Solche Menschenbildung ist gemeint mit den klassischen Formeln der "Kultivierung und Zivilisierung des Menschengeschlechts" (Kant), der allseitigen Bildung des Menschen, der Harmonie von Herz, Geist und Hand.
In der heutigen Klassengesellschaft ist Bildung leider immer noch ein Privileg. Nur etwa ein Drittel der Kinder können Abitur machen. Die herrschende Politik favorisiert die Dreiklassenschule. In den unteren Schichten verhindern Vorurteile eine höhere Bildung, ein geistiges Versumpfen in den schönen Bildern der Kulturindustrie führt zu Verblendungen. Viele in den oberen Schichten sind von Ideologien besetzt und verdrängen ihre soziale Rolle. Durch die geistige Anstrengung, welche den Menschen in ihrem Beruf abverlangt wird, erscheint ihnen Weiterbildung als Qual, der Psychoanalytiker Freud sprach z.B. von der Last in der Kultur, doch wenn Bildung zum Bedürfnis geworden ist, dann kann sie auch als Lust empfunden werden.
Zwei besondere Formen der Bildungsmisere sind die Halbbildung und die Fachidiotie. Der Halbgebildete, weil er auf einem Gebiet ein bisschen weiß, bildet sich ein, über alles Bescheid zu wissen und über alles eine feste Meinung zu haben. Der Fachidiot ist zwar in seinem Fach ein Spezialist, aber in anderen Bereichen, die zur Allgemeinbildung gehören, ist er ein geistiger Stümper, der Typ des einseitig Gebildeten.
Für Aristoteles war ein Bewusstsein seiner Zeit und der Natur zu haben Glückseligkeit. Heute, angesichts der Destruktionsmittel (ABC-Waffen), wollen viele nichts Genaues darüber wissen und verdrängen eher die Gefahren, die der Menschheit durch das aggressive kapitalistische System, das von einem Automatismus regiert wird, drohen. Auf jeden Fall ist es kein Glück mehr, die gesellschaftliche Welt, in der man lebt, so genau zu kennen. Doch wenn die Welt an den imperialistischen Kriegen der Zukunft untergehen würde, dann möchte ich wenigsten wissen wollen, warum sie das tut. Das wäre der letzte Rest von Menschlichkeit im Unmenschlichen. Schon damit dies nicht zur fatalen Alternative wird, brauchen wir Bildung.
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Ist Glück heute möglich?
Alle Menschen wollen glücklich sein. Doch was jeweils als Glück verstanden wird, darin unterscheiden sich die Menschen. Für den einen ist es, weil er krank ist, die Gesundheit, für den anderen Lust, Musik hören oder Ansehen in seiner Gesellschaft. Wieder andere sehen ihr Glück im Reichtum oder in einer sinnvollen Produktion, einem Hobby oder im Sport. Der Nächste empfindet Glück darin, im Sommergras zu liegen und im Himmel die Wolken ziehen zu sehen. Es gibt auch Leute, für die ist Glück nur der glückliche Zufall, etwa beim Lottospielen. Und Fetischisten empfinden Glück beim Streicheln ihres Lamborghinis oder wenn sie im Latexdress herumlaufen können. Scheinbar gibt es für das Glück keine leitenden Prinzipien, es scheint individuell zu sein wie sonst nichts. Und tatsächlich ist die Glücksvorstellung der Neuzeit durch die Individualisierung des Glücks geprägt. Deshalb kann die Politik bestenfalls Bedingungen des Glücks verbessern, falls das ihre Absicht wäre, aber das pursuit of happiness ist nicht möglich.
Doch auch wenn das Glück stark individuell bestimmt ist, gibt es doch Regeln für das Glücklichsein, auch wenn die nur den Rang von Kochrezepten haben: Man kann sie abwandeln und ergänzen, wenn man sie aber völlig ignoriert, dann wird das angestrebte Glück wahrscheinlich scheitern.
Die Gesundheit mag für einen Kranken Glück bedeuten, doch wer einigermaßen gesund ist, gibt sich damit nicht zufrieden. Andererseits ist Krankheit ein Teil des Lebens, und wenn die Krankheit nicht lebensbedrohlich oder sehr schmerzhaft ist (dagegen gibt es Palliativmedizin!), dann kann dieser Zustand auch ein Zustand der Besinnung werden, einmal aus dem Alltagstrott entflohen zu sein, um etwa ein gutes Buch zu lesen – also durchaus auch Glücksmomente enthalten. Ansehen oder Ehre als Glück wird von vielen erstrebt. Wer wollte nicht gern einmal auf einer Bühne im Rampenlicht stehen? Aber Ansehen ist von anderen abhängig, die ihre eigenen Ziele verfolgen: Vielleicht wird man nur von Geschäftemachern oder Sensationsmedien ausgenutzt oder vom Publikum vorgeführt. Auch Reichtum kann nicht als Glück befriedigen. Nicht dass Armut edler wäre. Wer hungert oder seine Bedürfnisse dem üblichen Stand des Reichtums einer Gesellschaft entsprechend nicht befriedigen kann, der kann auch nicht glücklich sein. Sondern ein gewisser Wohlstand ist schon notwendig, aber nur als Bedingung des Glücks – es sei denn man heißt Dagobert Duck und erfreut sich am Geldzählen, ist also Geldfetischist. Die größte Gruppe wird heute wohl die Lust als Glück ausgeben. Lust ist aber nicht gleich Lust. Der sexuelle Genuss bei einer Prostituierten scheint mir weniger befriedigend zu sein als die zwischen einem liebenden Paar. Auch ist die körperliche Lust, so wichtig sie auch für viele ist, doch dem Menschen und seinen Möglichkeiten nicht voll als Glück angemessen. Das Mampfen von Chips oder anderem Fast Food kann nur einen primitiven Gaumen befriedigen. Auch die Kühe empfinden Lust beim Grasfressen. Dagegen steht ein schön arrangiertes Mal, das ein differenziertes Geschmacksempfinden voraussetzt, zusammen mit Freunden genossen wird und auch noch ernährungsphysiologisch durchdacht ist. Hierbei wird auch der Geist des Menschen nicht beleidigt. Ebenso ist die Lust beim Hören von Popmusik bestenfalls reduziertes Glück, wenn die acht Töne der tonalen Musik in immer wieder gleichen banalen Variationen (musikalischer Schwachsinn) erscheinen. Immerhin ist Musik etwas spezifisch Menschliches, d.h. an ihr ist, wie primitiv auch immer, der Geist des Menschen beteiligt. Deswegen kann eine wahrhaft gespielte Komposition der Klassik oder der modernen E-Musik tiefe Glücksgefühle hervorrufen, bei denen man sein differenziertes Bewusstsein nicht ausschalten muss wie etwa bei der Tanzmusik.
Im Übrigen ist das Streben nach Lust der Rohstoff, mit dem die Kulturindustrie arbeitet, um die Menschen einer sekundären Ausbeutung zu unterwerfen. So begrüßenswert es ist, dass die Menschen an durchschnittlich mehr Konsumgüter gelangen können als in früheren Epochen (trotz Sozialabbau), so werden ihnen doch auch sinnlose Bedürfnisse aufgeschwatzt, sie werden über ihre Lüste zum Konsum animiert, den sie gar nicht brauchen. Kaufen wird zum Selbstzweck, ist sogar schon als Krankheitssymptom anerkannt. Zweck dieses künstlich forcierten Massenkonsums ist nicht das reflektierte Bedürfnis, sondern die „Ankurbelung der Wirtschaft“. Der Mensch wird reduziert auf seine Eigenschaften als williger Produzent und angepasster Konsument.
Alles bisher über das Glück Gesagte bezieht sich auf Glücksmomente, Glück als zeitweiliges Hochgefühl oder als Hochstimmung. Jeder weiß aber, dass Hochstimmungen und Hochgefühle nicht dauerhaft sein können. Tannhäuser hielt es auf dem Lotterbett der Liebesgöttin Venus nur einen Monat aus. Die Hochstimmung benötigt den Kontrast, die permanente Befriedigung der Lust wird schal. Für die antike Philosophie war Glück deshalb auch kein Hochgefühl (Verliebtheit z.B. galt als Krankheit), sondern Glückseligkeit war als eine Lebensweise konzipiert. Aristoteles fragt nach dem spezifisch Menschlichen, an dem sich die Glückseligkeit orientieren kann. Diese findet er in der Betätigung des Denkvermögens, in der Weisheit (Vernunft), die auf die dianoetischen (geistigen) Tugenden angewiesen ist, weil die geistige Seele allein den Menschen zukommt und keinem anderen Lebewesen, das wir kennen. Die Lebensweise, zusammen mit Gleichgesinnten zu philosophieren (Symphilosophieren), unter der Bedingung von materiellen Sorgen frei zu sein und Muße zu haben, ist für Aristoteles die vollkommene Glückseligkeit, vor allem wenn sie ein Leben lang anhält. Richtig daran ist, dass kein Glück ohne den geistigen Aspekt wirklich menschliches Glück ist. Aber das Glück, das in der Kontemplation, der Betrachtung der Welt liegen soll, muss sich – ganz abgesehen von der Sklavenarbeit, auf der es basiert – außerordentlich verbiegen angesichts der Kriege und des Elends der Antike. Heute, wo durch Massenvernichtungswaffen und imperialistische Konflikte die Möglichkeit besteht, dass sich die Menschheit auslöscht, scheint überhaupt kein Glück mehr im Betrachten des gesellschaftlichen Seins zu liegen. Dennoch ist auch in der genauen Analyse des Bestehenden, im Selbstbewusstsein seiner Zeit ein Glücksmoment des Geistes. Dies wird deutlich, wenn man sich die Alternative dazu anschaut: Wer an Wunder glaubt, sich einlullen lässt von der Bilderflut der Medien, primitiven Slogans der Boulevard-Presse aufsitzt oder sein Bewusstsein durch den Mainstream bestimmen lässt, der ist nicht nur ein Opfer der Verhältnisse, der opfert auch noch sein Bewusstsein und sein Gewissen auf dem Altar der Manipulateure und wird selbst zum provisorischen Glück, das heute menschenmöglich ist, unfähig.
Für die antiken Philosophen war es selbstverständlich, dass Lohnarbeiter das spezifisch menschliche Glück nicht erlangen können. Allein ihre Fremdbestimmung bei der Arbeit verhindert bereits eine glückselige Lebensweise: ein Abhängiger ist nicht frei in seinen Handlungen, sein mögliches Glück ist also auf die Freizeit beschränkt, die als Erholung selbst nur Teil des Arbeitsprozesses ist. Andererseits hat das Leben eines antiken Müßiggängers für die meisten Menschen heute zu Recht etwas Banausisches. Die moderne Industrie hat in uns das Bedürfnis gepflanzt, produktiv tätig zu sein (und sei es die Produktion von Texten wie ich gerade) und wir beginnen dieses Bedürfnis schon mit dem ersten Spielzeug in uns aufzunehmen. Die Produktion der Lohnabhängigen bezweckt aber nicht vernünftige Produkte, sondern einen akkumulierbaren Mehrwert (bzw. Profit) in einer dem Menschen gegenüber verselbstständigten kapitalistischen Ökonomie. (Siehe unseren Kurs: „Ökonomie“) Da auch materiell Abgesicherte auf Kosten des Glücks von Lohnabhängigen leben, können sie ebenfalls nicht das volle Glück erreichen. Sie müssen sich entweder geistig deformieren oder sie nutzen ihre Möglichkeiten für den Kampf um eine bessere Welt. Es sieht anscheinend so aus, dass ein volles menschliches Glück heute prinzipiell nicht möglich ist. Am ehesten ist eine glückselige Lebensweise möglich im Kampf um die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die eine solche Lebensweise verhindern. Gelungene Schritte zu dieser Veränderung sind dann Glücksmomente, die eine Vorahnung zukünftig möglicher Glückseligkeit schaffen.
(Vgl. hierzu auch ausführlicher: Bodo Gaßmann, Artikel: Glück, Glückseligkeit, in: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften. Hrsg. v. Hans Jörg Sandkühler, Bd. 2, S. 470 – 473, Hamburg 1990.)
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Wut, Groll, Hass und Zorn
Wenn uns etwas Ungerechtes widerfährt, wenn wir beleidigt, gedemütigt oder schikaniert werden, wenn uns jemand in die Enge treibt oder die Verhältnisse, denen wir ausgesetzt sind, unerträglich werden, dann ist die erste spontane Regung Wut. Dies ist ein unmittelbarer Affekt, der mit mehr oder weniger Aggressionsbereitschaft verbunden ist. Der Affekt offenbart sich in psychischen Reaktionen: Wir werden bleich oder laufen Rot an oder zittern gar.
Können wir den Grund des Übels nicht abstellen, dann verwandelt sich die Wut in Groll. Die Wut wandert als Groll teilweise ins Unbewusste, wird zur heimlichen Feindschaft eingewurzelt. Groll ist zurückgestauter Unwille, der durch innere und äußere Widerstände gehindert ist, sich nach außen zu entladen. Er ruft Verbitterung hervor, die sich zu Hass steigern kann.
Hass ist ein intensives Gefühl der Abneigung und Feindseligkeit gegen Personen und soziale Gruppen. Sie ist das konträre Gegenteil der Liebe. Hass kann sich steigern bis zum Vernichtungswillen gegen Menschen, die vermeintlich die Ursache des Hasses sind. Insofern kann tödlicher Hass entstehen, der sich in akuten Hassausbrüchen äußert. War der gehasste Andere einst eine geliebte Person, für die man immer noch Sympathie empfindet, dann entsteht Hassliebe. Diese offenbart die Ambivalenz dieses Gefühls überhaupt, denn Hass ist immer auch im Unbewussten verankert, wenig rational.
Dennoch haben bürgerliche Philosophen wie Max Scheler aus dem Hass ein philosophisches Urprinzip des Menschen und seiner Gesellschaft gemacht. Scheler verwandelt die psychologischen Begriffe der „Liebe“ und des „Hasses“ zu universellen Erklärungsgründen für alles historische Geschehen. Kriege entstünden aus Hass, die Gesellschaft wird zusammengehalten durch Liebe (vgl. Erinnyen Nr. 18, S. 41). Eine solche Simplifizierung und Schematisierung lässt sich beliebig als ideologische Rechtfertigung gebrauchen und lenkt von den wahren Verhältnissen ab. (Kriege entstehen durch den aus dem Wirtschaftssystem folgenden Kapitalexport, der eine Sicherung der Geschäftsbedingungen in aller Welt nötig macht; die Gesellschaft wird tatsächlich durch den Markt und die Verwertungsinteressen des Kapitals – „Wachstum“ – zusammengehalten.)
Nichtsdestotrotz muss man die psychische Disposition von Wut, Groll und Hass Ernst nehmen, weil sie Menschen zerstören kann und von den Herrschenden ausgenutzt wird, um ihre Sonderinteressen durchzusetzen. So ist es ein beliebtes Schema, Menschengruppen zu stigmatisieren, gegen sie zu hetzen und sie pauschal als Feindbild hinzustellen, um Wählerstimmen zu gewinnen und die eigene Klientel zusammenzuschweißen. Während der Zeit des deutschen Faschismus hat diese Herrschaftsstrategie zu millionenfachem Massenmord geführt.
Von Seiten einer rationalen Psychologie wird vorgeschlagen, dass sich der wutentbrannte, grollende oder hassende Mensch zunächst einmal seine Gefühle bewusst macht. Dann darüber reflektiert, um die Gründe für den Hass herauszufinden. Sind diese Gründe irrational, bloß fiktiv und von anderen (aus Interesse) ihm eingeredet worden, dann sollte dieser den Prozess der Selbstaufklärung soweit forttreiben, dass er reale Erfahrungen mit den vormals Gehassten macht und sie in ihrer Wirklichkeit kennen lernt. Dadurch ist seine Selbstaufklärung nicht nur kontemplativ, sondern wird durch ein praktisches Element gefestigt.
Doch dieses Ideal der Selbstaufklärung über den eigenen Hass ist in der antagonistischen Gesellschaft mit ihren Ideologien, pluralistischen Weltanschauungen und dem irrationalen Selbstbewusstsein nur wenigen möglich. Denn meist wird durch psychologische Selbstaufklärung nur ein falsches Bewusstsein durch ein anderes falsches Bewusstsein ersetzt. Solange die gesellschaftlichen Verhältnisse durch Klassengegensätze und einen entfremdeten Mechanismus (Kapital) bestimmt sind, drängen diese dem Bewusstsein immer wieder ideologische Formen (also sozial notwendiges falsches Bewusstsein) auf.
Andererseits gilt: Solange die gesellschaftlichen Verhältnisse immer wieder berechtigte Gründe für Wut, Groll und Hass produzieren, ist die rein psychologische Überwindung des Hasses eine Selbstentmächtigung der sozial deklassierten, letztlich aller lohnabhängigen Menschen. Da der Hass kein guter Ratgeber für die ist, welche sich gegen die Ursachen des Hasses wehren wollen, weil er teils unbewusst ist, teils ein unbeherrschbares Gefühl, das zu Überreaktionen neigt, ist eine Selbstaufklärung über den eigenen Hass durchaus nötig. Eine solche Selbstaufklärung müsste die irrationalen Aspekte des Hassgefühls von seinen berechtigten unterscheiden. Der derart reflektierte und anerkannte Hass verwandelt sich dann in Zorn.
Zorn ist ein reflektierter Affekt der Negation. Er wird wegen Ungerechtigkeiten hervorgerufen, die uns durch die Umwelt zugefügt werden, und enthält gegenüber dem unreflektierten Hass ein moralisches Moment. Wütend können auch Tiere werden. Der Zorn ist eine spezifisch menschliche Reaktion. Werden anerkannte Sollens- oder Rechtsnormen eklatant verletzt, dann kann dadurch Zorn entstehen. Werde ich manipuliert und erkenne das, dann entsteht Zorn auf den Manipulateur oder seine Auftraggeber. Werde ich ausgebeutet, wird mir also ein Teil meines Arbeitsproduktes durch den Kapitaleigner gestohlen, obwohl Diebstahl in der bürgerlichen Gesellschaft geächtet ist, dann werde ich zornig, wenn ich diesen Zusammenhang erkenne. In diesem Sinne gibt es heute eher zu wenig Zorn. Wenn vor zwanzig Jahren 800 Millionen Menschen hungerten und heute diese Zahl sogar noch größer ist, obwohl die Regierungen damals versprachen, die Menge der Hungernden zu halbieren, dann ist Zorn nötig. Bertolt Brecht lässt seinen Galilei gegen das geduldige Ertragen miserabler Zustände durch die Bauern, die der „Kleine Mönch“ rechtfertigt, sagen: „Zum Teufel, ich sehe die göttliche Geduld Ihrer Leute, aber wo ist ihr göttlicher Zorn?“ (Ende von 9) Es ist ein Zeichen für einen aufgeklärten Menschen, dass er seinen Hass überwindet und – soweit er berechtigte negative Emotionen hat – ihn in Zorn umwandelt.
Ebenfalls kann eine sozialistische Bewegung, die eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse anstrebt, nicht auf den Hass als Mittel der Veränderung setzen, weil er als unbewältigtes Gefühl ihre Ziele, eine emanzipierte Gesellschaft, behindern, gar verhindern würde. Sie muss deshalb versuchen, alle Irrationalismen aus ihren Handlungen herauszuhalten. Deshalb braucht sie auf Gefühle nicht zu verzichten, sie ersetzt den Hass auf die leichenträchtige Ökonomie des Kapitals durch den Zorn auf sie.
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Über Freundschaft
Über Freundschaft schreiben heißt Ratschläge fürs Leben geben, die abgehoben sind von der Individualität der Menschen, denen sie zugedacht sind. Jeder muss sich seinen Freund oder seine Freundin selbst aussuchen, diese Beziehung pflegen usw. Freundschaft scheint etwas bloß Individuelles, ganz Persönliches und Emotionales zu sein.
Dennoch kann es interessant sein, das objektive Ideal der Freundschaft aus der philosophischen Tradition kennen zu lernen und mit dem eigenen Leben zu konfrontieren, um zu sehen, ob die eigene Freundschaft das Menschenmögliche erreicht, ob die Freundschaftsbeziehung steigerbar ist oder ob man sich in oberflächlichen Kontakten zu anderen Menschen begnügen will.
Aristoteles geht von der Bestimmung des Menschen aus, um seine Auffassung von Freundschaft zu begründen. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch das begriffliche Denken (Verstand und Vernunft) und sein Selbstbewusstsein (Wissen über das Wissen, z.B. das Wissen, dass man sterben muss). Auch ist der Mensch ein Sozialwesen (vgl. Nikomachische Ethik, 9. Kapitel), er ist also auf andere Menschen angewiesen, die Freundschaft ist dann die qualitativ höchst mögliche Beziehung zwischen Menschen. Es geht Aristoteles weder um die Beschreibung empirischer Menschen und deren Beziehung, obwohl seine Art der Freundschaftsbeziehung zu seiner Zeit möglich war, noch geht es ihm um ein abgehobenes Ideal in einem Ideenreich, sondern um das, was er für eine Möglichkeit des Menschen ansah, die aus seinem Wesen geschlussfolgert werden kann.
Nun gibt es viele Ausprägungen des Denkens und der sozialen Beziehungen, sodass die Bestimmung des Menschen als vernunftbegabtes und soziales Lebewesen, wie Aristoteles sie darstellt, selbst schon ein Ideal ist – allerdings ein Ideal, das in bestimmten Epochen der Geschichte eine reale Möglichkeit war und deshalb auch heute - bei entsprechend eingerichteten Bedingungen – wieder sein kann. Ist der Mensch ein Sozialwesen und will glücklich sein, dann braucht er Freunde als höchstentwickelte Form der menschlichen Beziehung. Ist der Mensch als Spezies durch begriffliches Denken ausgezeichnet, dann muss seine Freundschaft auch auf der Vernunft basieren.
Aristoteles bestimmt den Freund als ein „anderes Ich“, als ein „zweites Selbst“. Dies ist ein hoher Begriff von Freundschaft, der in einer Konkurrenzgesellschaft, wo jeder dazu gedrängt wird, nach dem Motto homo homini lupus est (der Mensch ist des Menschen Wolf, Hobbes (übrigens eine Verunglimpfung der Wölfe)) zu agieren, kaum zu leben ist. Man muss sich schon weitgehend frei gemacht haben von den verinnerlichten Konkurrenzmechanismen, um den Anderen, den Freund als zweites Selbst zu betrachten und entsprechend mit ihm umzugehen.
(In der Antike, in der autarke Sklavenhalter entsprechend den primitiven Produktivkräften und autonom Denkende entsprechend dem damaligen Wissen miteinander lebten, war dies eher möglich – wenn auch die Folgen der Sklaverei, das Leid der zahllosen Masse, meist von den Philosophen verdrängt wurden.)
Man bekommt eine Vorstellung von diesem hohen Rang der Freundschaftsbestimmung, wenn man sich Schillers Ballade „Die Bürgschaft“ anschaut. Ein Mann wird von einem Tyrannen zum Tode verurteilt und soll hingerichtet werden. Er bittet sich drei Tage Urlaub vom Gefängnis aus, um seine Familienangelegenheiten zu ordnen. Dann werde er zurückkommen und sich hinrichten lassen. Als Pfand für ihn werde sein Freund diese drei Tage im Gefängnis einsitzen und hingerichtet werden, wenn der verurteilte Freund und Freigänger nicht wiederkommt.
Würden Sie unter diesen Umständen für Ihren Freund ins Gefängnis gehen? Wenn ihre Freundschaft darin besteht, dass Sie beide im Anderen ein zweites Selbst sehen, dann müssten Sie ohne zu zögern einwilligen, den Freund im Todestrakt zu vertreten. Die meisten würden heute wohl vor so einem Freundschaftsdienst zurückschrecken. Aber dann würde die Freundschaft nicht ihrem Ideal entsprechen.
Das Selbst wird von Aristoteles wie von Kant als die menschliche Vernunft angesehen, die das Regierende in unserer Psyche sein sollte und über empirische Erfahrungen entscheidet, wie sie gedeutet werden sollen, welchen Stellenwert im psychischen Haushalt sie einnehmen sollen usw. Daraus folgt, dass eine solche Freundschaft nur zwischen Menschen möglich ist, die sich an der Vernunft orientieren. Um ein extremes Beispiel zu nehmen: Zwischen Gangstern kann es keine Freundschaft geben, da ihre Beziehung auf Interessengleichheit beruht, die immer nur vorübergehend ist und ihren Maßstab allein im eigenen (körperlichen) Wohl hat. Ändern sich die Interessen, wird der eine dem anderen verraten, wenn es ihm nützt, denn er hat kein inneres Prinzip (der Vernunft), das er anerkennt und das seine Beziehung bestimmt. Ähnliches gilt zwischen den menschlichen Wirtschaftssubjekten im Kapitalismus.
Ebenfalls kann es keine Freundschaft zwischen Lehrling und Meister; zwischen Schüler und beamtetem Lehrer, der ihn zensieren muss; zwischen Unternehmer und seinen Lohnabhängigen, kurz: zwischen Ungleichen geben. Denn die Abhängigkeit des einen vom anderen verhindert, dass sie sich gegenseitig als anderes Selbst ansehen.
Aristoteles war der Meinung, auch zwischen Mann und Frau (in der Ehe oder Liebesbeziehung) könne es keine Freundschaft geben. Insofern die Frau in der Antike dem Mann untertan war, erscheint diese Auffassung plausibel. Aber sein Argument, die Erotik und Leidenschaft der Liebe beeinträchtige die Vernunft, ist zumindest auch heute noch diskussionswürdig. Denn zwischen Mann und Frau regiere nicht immer die Vernunft, sondern oft die Leidenschaft. In einer Liebesbeziehung die Erotik und die Freundschaft (dem Ideal entsprechend) miteinander in Einklang zu bringen, ist auf jeden Fall eine Kunst (vgl. Fromm: Die Kunst des Liebens).
Ist der Freund (oder die Freundin) ein anderes Ich, dann ist es selbstverständlich, dass der Freund dem Freund hilft. Allerdings warnt Aristoteles davor, aus dieser Hilfe einen Dauerzustand werden zu lassen, denn dann gerät der Hilfsbedürftige in Abhängigkeit von seinem helfenden Freund, die Gleichrangigkeit zwischen beiden geht verloren und darüber oft auch die Freundschaft.
Freundschaft muss einen Inhalt haben, sonst wäre sie bloß eingebildet. Der Inhalt aber ist die Verständigung über das Selbst, die objektive Vernunft in den Freunden. Wenn der Freund ein anderes Selbst ist und wenn dieses Selbst wesentlich in der Vernunft bestehet, dann ist Freundschaft auch nur zwischen Vernünftigen möglich. Am meisten vernünftig sind aber die Philosophen, die ihr Wissen und ihre Person am avancierten Stand der Vernunft ausrichten, d.h. die nicht nur eine große Allgemeinbildung haben, sondern auch die philosophische Tradition studiert und dadurch erst den avancierten Stand der Vernunft erreicht haben. Denn nur dann können sie überhaupt wissen, was vernünftig ist, also das haben, was in der philosophischen Tradition Weisheit genannt wurde.
Auf keinen Fall ist es möglich mit jemand befreundet zu sein, der eine konträre Lebenseinstellung und Philosophie vertritt. Es müsste sich der eine dem anderen, ohne nach der Vernunft zu gehen, anpassen, was auf Opportunismus hinausläuft. So kann es heute eine Freundschaft zu Neofaschisten oder Kapitalismusfreunden für einen an Vernunft orientierten Menschen nicht geben.
Aristoteles war 20 Jahre Schüler und Freund Platons. Als er aber seine eigene Philosophie aus der Kritik an der platonschen entwickelte, zerbrach die Freundschaft. Denn für diese höchste Freundschaft gilt seitdem: Plato amicus, magis amica veritas (Platon ist ein Freund, eine größerer Freund aber ist die Wahrheit). Anderenfalls müsste man seine Einsichten verleugnen, lebte in der Lüge und Heuchelei, träte also in Widerspruch zu sich selbst, hätte also zwei Selbst – und wäre dadurch unfähig zur Freundschaft.
Auf der Vernunft fußende Freundschaft kann man immer nur mit wenigen Menschen haben, weil man mit ihnen Zusammenleben sollte (am selben Ort) und es schon zeitlich unmöglich ist, mit vielen Freunden intensiv zu verkehren. Politische Freunde gehören nicht zu dieser Art Freundschaft, insofern diese Freundschaft allein auf den gleichen politischen Ansichten und Interessen beruht, denn – abgesehen von der Problematik der Interessengleichheit – ist Politik immer auf äußere Ziele gerichtet, die nicht in der Person des Anderen oder seinem Selbst liegen. Dadurch aber kann der politische Freund nicht als anderes Ich angesehen werden (es sei denn, er ist mehr als nur ein politischer Freund).
Sind nun alle Bedingungen für die Freundschaft vorhanden und stimmt man auch mit dem Anderen als Individuum zusammen, dann besteht die Freundschaft aus dem gemeinsamen Leben und dem miteinander Philosophieren (Symphilosophieren). Dieses Zusammenleben und dieser „Austausch der Worte und Gedanken“ auf der Basis des avancierten Standes der Vernunft ist für Aristoteles eine „Quelle der Lust“ und die höchste Form der Glückseligkeit.
Die Vernunft verlangt auch nach Aristoteles, in die Tat umgesetzt zu werden. Sie kann nicht nur im kontemplativen Philosophieren bestehen – auch wenn die Kontemplation ihre Ziele in sich hat, jedes Handeln jedoch immer auch äußere Ziele verfolgt, deren Bedingung niemals vollständig in unserer Macht liegen. Auf diesen tätigen Aspekt der Vernunft hat das bürgerliche Zeitalter entgegen der platonischen und aristotelischen Tradition zu recht bestanden. Für Aristoteles folgt aus dem Imperativ zum Handeln, den die Vernunft fordert, dass nur tugendhafte Menschen Freunde sein können (siehe oben das Beispiel mit der Gangsterfreundschaft). Er konnte noch die Illusion haben, in einer antagonistischen Gesellschaft konsequent tugendhaft leben zu können. Ist diese Illusion kritisch aufgelöst wie in der Gegenwart, dann wird auch der Freundschaftsbegriff von Aristoteles und die mit ihm verbundene mögliche Glückseligkeit problematisch.
Sein hoher Begriff von Freundschaft bleibt indes eine Möglichkeit des Menschen, jeder gedankliche Abstrich davon wäre eine Reduktion menschlicher Möglichkeiten, eine Rechtfertigung der bestehenden Konkurrenzverhältnisse und die Festlegung der Menschen auf ihre (höheren) tierischen Funktionen. Wenn man unfähig ist, diesen hohen Begriff von Freundschaft zu leben, dann sollte man sich dies ehrlicherweise eingestehen. Diejenigen, die zumindest gedanklich an diesem Begriff der Freundschaft festhalten, nach dem ein Freund ein anderes Selbst ist, hätten sich mit ihren Freunden zu bewähren an der Herstellung von Bedingungen, die es ermöglichen, diese Freundschaft auch zwanglos und unproblematisch zu leben. Aus der bloß abstrakten Möglichkeit des Ideals der Freundschaft würde dann eine reale Möglichkeit, die allen Menschen offen stünde.
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Gibt es Moral im Zusammenleben zwischen Mann und Frau?
Sollte ich in der Ehe oder Zweierbeziehung treu sein?
Kann man heute noch eine Familie gründen?
Sollte man Kinder großziehen?
Was heißt Selbstverwirklichung?
Was ist, wenn meine Selbstverwirklichung auf Kosten des Lebenspartner geht?
Wie viel Fernsehkonsum ist angebracht?
Welche Rolle sollte Sport in meinem Leben spielen?
„Wie hältst du’s mit der Religion?“
Auf diese Frage von Gretchen antwortet Faust ausweichend, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen. Zweihundert Jahre später schreibt jemand ein Buch („Schlussstrich“) mit der Absicht, dem Christentum einen letzten Stoß zu versetzen. Und ein Mann namens Deschner hat sein Leben damit verbracht eine vielbändige Kriminalgeschichte des Christentums zu schreiben. Es lebt trotzdem weiter – als Gespenst, das jeder für seine Zwecke instrumentalisieren kann, weil es keinen Gehalt mehr hat. Wer sich heute fragt: Gibt es einen Gott? – der hat sich schon entschieden, Trost im christlichen Aberglauben zu suchen, sich durch sinnlose, aber wohlklingende Worte verblöden zu lassen. Seit 800 Jahren sind die möglichen Gottesbeweise widerlegt, seit 800 Jahren ist das Christentum wie jede andere monotheistische Religion theoretisch tot (die polytheistischen sind es schon länger!). Wenn jemand etwas Positives von Christus daherschwätzt, dann will er meist etwas anderes: mein Geld, meine Anpassung, dass ich kusche, meine Bereitschaft in den Krieg zu ziehen, mich willenlos machen, mich verdummen.
Andererseits ist ein Atheismus, der nicht durch Argumente erhärtet ist, nicht allzu weit vom christlichen Vorurteil entfernt. Ein Atheismus aus dem Bauch birgt in sich die Gefahr, einen anderen Aberglauben oder primitiveren Vorurteilen zu verfallen. Deshalb sollte sich jeder, der Religion ablehnt und nicht an Gott glaubt, mit Argumenten gegen die Religion befassen. Ein Anfang dafür könnte mein Essay über Religion und Gewalt sein.
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Was geht uns der Tod an?
Nichts! Denn Angst, Furcht, Leiden am Gedanken zu sterben usw. sind Empfindungen. Mit dem Tod aber sind alle Empfindungen verschwunden, wir sind nicht mehr lebendig, haben kein Gefühl und kein Bewusstsein mehr. Noch nicht einmal Träume oder seelische Bewegungen des Unbewussten finden statt. Deshalb, so sagt Epikur, geht uns der Tod nichts an. Auch den höheren Blödsinn von einem Weiterleben nach dem Tod, sei es in der Hölle oder im Himmel, kann uns nicht berühren, wenn wir auf dem geistigen Niveau der Zeit sind. Spätestens seit dem 14. Jahrhundert sind alle Gottesbeweise und damit die gesamte Mythologie des Christentum und anderer Religionen widerlegt.
Dennoch gibt es ein gewisses Weiterleben nach dem Tod. Nicht das Individuum oder die individuelle Seele überlebt natürlich. Wir leben biologisch ein bisschen in unseren Kindern weiter und geistig, abgesehen von der unmittelbaren Erinnerung von Freunden, in unseren Büchern, die wir hinterlassen. Die Erinnerung ist der rationale Gehalt von Himmel und Hölle, der unser Gewissen prägt. Aber auch nur solange wir leben.
Warum sich dann noch vor dem Tod fürchten? Zugestanden, fast jeder fühlt sein Selbstwertgefühl gekränkt, wenn er daran denkt, dass er sterben muss. Auch die Angst beim Sterben große Schmerzen zu haben, ist verständlich. Dagegen hilft auch nicht die Erkenntnis, das es heute ein Hospizbewegung gibt, die ein schmerzfreies Sterben ermöglicht. Denn diese Hospize sind teuer, und die Krankenkassen knausern, wenn die Arbeitskraft nicht mehr herstellbar ist. Aber die Frage zielt auf den Tod ab, nicht auf das Sterben. Der Tod geht uns nichts an.
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Soll ich in einer politischen Organisation mitarbeiten?
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