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Warum heute noch Biografien?
Direkt zu Auszügen aus meiner Biografie: Mein Leben
Bilder aus meiner alten Heimat: Wollersleben
Inzwischen ist ein weiterer Baustein meiner Biogrfie erschienen:
Mein 1968 -
Erfahrungen im Prager Frühling
Warum heute noch Biografien?
Wer heute seine
Biografie schreibt, muss entweder bekannt sein, so dass ein Interesse an seiner
Person besteht, oder er gilt als Selbstdarsteller, der sein banales Leben
aufspreizt und andere damit langweilt. Hach Hegel geht das Individuum
zu Grunde, damit die Spezies überlebt und sich weiterentwickeln kann. Der
Einzelne gilt nichts, die Gattung, die Gesellschaft alles. Zynisch sagt er,
diese Erkenntnis hätten schon die Tiere, denn ohne Hochachtung vor dem
Individuum fräßen sie dieses einfach auf. Auf Grund der Dauerhaftigkeit des
Allgemeinen schließt die idealistische Philosophie auf die Nichtigkeit des
sterblichen Individuums. Als eine Verwandte starb, hat sie als letzten Willen verfügt, unter einem anonymen Grabstein zu liegen. Ich brauche keine weiteren
Beispiele anzuführen... Die idealistische Ansicht vom Individuum hat sich
durchgesetzt, nicht weil es ein mächtiger Gedanke wäre, der wahr zu sein
scheint, sondern weil in der objektiven Welt der Produktion von Werten das
Individuum zum bloßen Funktionsträger geworden ist (meine Verwandte war
Sekretärin) und seine reduzierte und standardisierte Individualität nur noch in
der Form von Nebenkosten erscheint, die reduziert werden müssen. (Meine
Verwandte hat vier Kinder großgezogen und, nachdem die Beerdigungskosten
beglichen waren, blieben als Erbe nur die verschlissenen Möbel, die auf dem
Sperrmüll landeten.) Die Lohnabhängigen reproduzieren sich bloß, während sie
doch Werte schaffen, deren Anhäufung einen ungeheuren Reichtum ergeben. So
könnte man vermuten, das die Vermögenden wenigstens ihre Individualität
entwickeln und pflegen können. Goethe, der Sohn eines Großbürgers, konnte
dies einigermaßen, wie seine Vita und sein Werk zeigen. Doch die heutige
Bourgeoisie muss schon eine gewaltige Verdrängungsleistung auf sich nehmen,
wenn sie glücklich sein will. Sie muss die Plage, die Routine, die Abstumpfung
der Werktätigen verdrängen, die ihre Dividenden produziert. Sie kann gerade
dadurch ihre Individualität nicht voll entwickeln, obwohl sie die materiellen
Mittel dazu hat, und stürzt sich deshalb auf Surrogate, die ihr Einmaligkeit
vorgaukeln, es aber nicht sind, wie Designer-Klamotten, individuelle Architektur
nach der Mode, die beste Suite im Hotel, Jachten und Luxuspferde samt Reiter,
und, wenn einer sein kritisches Bewusstsein pflegen will, sogar ein
sozialwissenschaftliches Institut, dessen Kritik an dem Punkt aufhört, wo es um
die Eigentumsfrage geht.Wenn keiner seine Individualität herausarbeiten
kann, was soll dann noch eine Biografie, deren Inhalt nichts Individuelles mehr
enthält als die Tatsache, dass da jemand und sonst keiner zu einer bestimmten Zeit einen
bestimmten Ort ausgefüllt hat? Die Frage unterstellt, dass die
Individuen restlos im kapitalistischen Getriebe von Produktion und Konsumtion
aufgehen. Doch dem ist nicht so! Sowohl sein biologisch verfasster Körper wie
seine geistige Spontaneität können nicht restlos von der ökonomischen
Verwertung des Werts vereinnahmt werden. Entgegen postmoderner Idiotien sind
Menschen keine Maschinen, und selbst Maschinen, die doch aus Naturstoffen
hergestellt sind, werden niemals vollständig von ihrer Funktionalität
beherrscht, wie jeder an ihrer Reparaturanfälligkeit sehen kann. Das heißt
nicht, die Natur würde sich gegen ihre Vereinnahmung wehren. Die Natur macht
gar nichts, sie ist kein apartes Subjekt, ihr ist es völlig gleichgültig, ob
sechs Millionen Juden umgebracht werden oder wer welchen Krieg gewinnt. Aber
dieser Rest, der nicht aufgeht im Getriebe der Akkumulation von Mehrwert, lässt
zumindest die Hoffnung zu, die Individualität der Menschen zu befreien. Nicht
die Zuversicht, denn die Menschheit kann auch den Bach runtergehen, wohl aber
besteht Hoffnung, wenn sich der Körper wehrt, jeden Morgen um halb sieben
aufzustehen, zum 1000sten Male dieselbe Tätigkeit zu machen. Wohl aber besteht
Hoffnung, wenn sich der individuelle Geist gegen die Verblödung wehrt, die ihn
neben seinem beruflichen Fachwissen beherrscht. Was für ein ungeheurer
Widerspruch prägt das Bewusstsein heute, das einerseits in Schule und Beruf die
sublimsten Schlüsse ziehen muss, andererseits sich bei Blödelbarden wie Stefan
Raab mit Idiotien begnügt oder bei nationalistischen Fußballspielen vor Wonne
tobt, wenn die deutsche Mannschaft siegt, also eine Nation anhimmelt, die das
Menschenmaterial im 20. Jahrhundert zweimal zur Schlachtbank geführt hat und
dies schon wieder übt. Hoffnung kann sich deshalb nur auf die Abweichung
gründen. Ein Leben ist nur dann erzählenswert, wenn es nicht dem Mainstream
gefolgt ist, wenn es wenigstens die eigene Lebenserfahrung kritisch reflektiert
hat. Niemand kann eine gelungene Biografie vorweisen. Das ist heute unmöglich.
Goethes Biografie liest sich inzwischen wie ein individuelles Märchen, bei
genauerem Hinsehen eins mit Brüchen. Gottfried Kellers "Grüner
Heinrich", ein Bildungsroman des 19. Jahrhunderts, stellt bereits das
Scheitern der Bildung des Individuums dar. Und Günter Grass'
"Blechtrommel" zeigt den Bildungsweg, der konsequent im Irrrenhaus
endet. Man stelle sich nur einmal die heutige Großvätergeneration vor: um 1925
geboren, im "3. Reich" in der Schule brutalisiert und verblödet, in
HJ und Militärdienst als Schlachtvieh zugerichtet und, falls dem Krieg
entkommen, in der Gefangenschaft fünf Jahre mit Strychnin kastriert. Solche
moralischen Krüppel haben uns erzogen. Den Rest macht die Umwelt und die
Medien. Man gehe nur mal zum Fußballtraining und höre sich die Sprüche der
Trainer an, die junge Leute zum Kampfspiel abrichten.Und doch sind
reflektierte Biografien nötig, um der Spontaneität des Bewusstseins, die jeder
Leser mitbringt, die Möglichkeit zum abweichenden Verhalten zu eröffnen. In
diesem Sinn hatte schon Goethe recht, wenn er den, der seine Biografie
niederschriebt, "für den höflichsten aller Menschen" hält.
Selbstverständlich müssen die Fakten wahr sein, aber das subjektive Licht, in
das man sich notwendigerweise stellt, die Interpretation der eigenen Erfahrung,
ist das eigentlich Interessante und macht die Höflichkeit aus. Stellen Sie sich
einmal vor, es gäbe keine ernsthaften Biografien, wie sollten sich junge
Menschen ihre Lebensentwürfe reflektiert gestalten? Wie sollten sie erfahren,
wie das übermächtige Allgemeine auch noch die individuellen Gesten - selbst im
Protest dagegen - prägt? Über das Verhältnis von Historie und Biografie
privater Menschen schreibt Sebastian Haffner:"Offenbar hat geschichtliches
Geschehen einen verschiedenen Intensitätsgrad. Ein 'historisches Ereignis' kann
in der wirklichen Wirklichkeit, also im eigentlichsten, privatesten Leben der
einzelnen Menschen, fast unregistriert bleiben - oder es kann dort Verheerungen
anrichten, die keinen Stein auf dem andern lassen (...) die
wissenschaftlich-pragmatische Geschichtsdarstellung sagt über diesen
Intensitätsunterschied des Geschichtsgeschehens nichts. Wer etwas darüber
erfahren will, muss Biografien lesen, und zwar nicht die Biografien von
Staatsmännern, sondern die viel zu raren Biografien der unbekannten
Privatleute." (Sebastian Haffner: Geschichte eines Deutschen. Die
Erinnerungen 1914-1933, Stuttgart, München 2001, S. 12 f.)
Auf der
folgenden Seite Mein Leben können Sie den ersten Teil meiner Biografie lesen.
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